"Radikalenerlass" auch für Tarifbeschäftigte?

"Für Arbeiter und Angestellte im öffentlichen Dienst gelten entsprechend den jeweiligen tarifvertraglichen Bestimmungen dieselben Grundsätze", heißt es im Ministerpräsidentenbeschluss von 1972. Im Bundesangestelltentarif, der damals für den gesamten öffentlichen Dienst (Bund, Länder und Gemeinden) Gültigkeit hatte, hieß es in § 8: "Der Angestellte hat sich so zu verhalten, wie es von Angehörigen des öffentlichen Dienstes erwartet wird. Er muss sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen." Auch ein entsprechendes "Gelöbnis" war in § 6 des BAT vorgesehen.

Doch erstens werden Tarifverträge von den (öffentlichen) Arbeitgebern nicht einseitig erlassen, sondern mit den Gewerkschaften abgeschlossen. Die saßen in der Ministerpräsidentenkonferenz am 28.01.1972 nicht mit am Tisch und haben deren damals neue Auslegung durch die Regierungschefs nicht unterschrieben. Und zweitens wurde der BAT (und werden seine heutigen Nachfolge-Tarifverträge) stets auch in zahlreichen Betrieben und Verwaltungen angewandt, die nur indirekt oder gar nicht dem staatlichen Bereich zuzuordnen sind.

Trotzdem gab es immer wieder Versuche, die Berufsverbote-Politik - von den diskriminierenden Fragen und Formularen bei der Einstellung bis zu Entlassungen - auch auf Tarifbeschäftigte anzuwenden. Mit unterschiedlichem Erfolg, denn die von Betroffenen angerufenen Arbeitsgerichte haben das - im Gegensatz zu den meisten der anders besetzten Verwaltungsgerichte - oft nicht mitgemacht.

Zeitweilig gab es von interessierter SPD-Seite den Vorschlag an betroffene Bundesbeamte: Verzichtet auf euren Beamtenstatus, akzeptiert den Status eines Angestellten oder Arbeiters, dann seid ihr euer "Problem" los. Einzelne Zoll- und Bahnbeamte gingen darauf ein (und wurden dann auch in Ruhe gelassen), die meisten betroffenen Postler indessen hatten gute Gründe, einem solchen - in diesem Fall ausdrücklich diskriminierend gemeinten - "Angebot" des 1974-82 amtierenden Postministers Kurt Gscheidle nicht zu trauen. (Mehr über ihn und seinen Bundesdisziplinaranwalt hier.) Mitten in diese Auseinandersetzung platzte 1981 der Versuch der damals allein von der CDU gestellten baden-württembergischen Landesregierung, die Stiftung "Deutsches Institut für Fernstudien" zur Kündigung eines Tarifbeschäftigten anzuweisen (Bericht auf Spiegel.de). Das war wohl als Signal an die damals im Bund regierende SPD gemeint: wir werden die Berufsverbote auch in diesem Bereich gnadenlos durchziehen. Das gelang aber nicht, wie auch ein anschließend in diesem Bundesland unternommener Versuch der Kündigung einer Sozialarbeiterin, die beim Landkreis Esslingen angestellt war, erfolglos blieb.

In den ab 2005 in Kraft gesetzten Nachfolge-Tarifverträgen des BAT ist die "Treuepflicht" nicht mehr durchgängig enthalten.

Zwar ist eine solche Verpflichtung auch in § 3 Abs. 1 Satz 2 des TV-L vorgesehen, der seit 2006 in den Ländern außer Berlin und Hessen gilt. (Für diese Länder gelten modifizierte eigene Tarifverträge.) Auch in parallel abgeschlossenen Tarifverträgen für besondere Berufsgruppen - zum Beispiel für Ärzte - sind ähnliche Verpflichtungen enthalten und das wird auch nach altem Muster umgesetzt, wie zum Beispiel ein noch heute, 2012, in einem baden-württembergischen Landeskrankenhaus verwendetes Formular (PDF-Scan) zeigt.

Doch im TVöD, der seit 2005 die Arbeitsbedingungen beim Bund und den Kommunen regelt, kommt eine solche Pflicht im allgemeinen Teil nicht mehr vor. Lediglich im "Besonderen Teil Verwaltung" in § 41 des TVöD heißt es, dass "Beschäftigte des Bundes und anderer Arbeitgeber, in deren Aufgabenbereich auch hoheitliche Tätigkeiten wahrgenommen werden, [...] sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen" müssen.

Es gibt allerdings auch öffentliche Arbeitgeber und Dienststellen, die im Arbeitsvertrag generell eine entsprechende Pflicht statuieren und von allen Tarifbeschäftigten ein entsprechendes Formular unterschreiben lassen, auch wenn keinerlei "hoheitliche Aufgaben" erkennbar sind. Eine Auseinandersetzung über diese Frage gab es beispielsweise 2012 bei der Stadt Karlsruhe. "Warum müssen bei der Stadt Karlsruhe Beschäftigte ohne hoheitliche Aufgaben heute noch eine Verpflichtung zur Verfassungstreue unterschreiben?“, fragten zwei Mitglieder des Karlsruher Gemeinderats am 03.04.2012. „Eigentlich dürfte das seit dem 1.Oktober 2005 gar nicht mehr der Fall sein“. Denn seit diesem Tag gilt der TVöD. „Die Stadt Karlsruhe hat die Regelung des alten BAT schlicht beibehalten. Wer die Verpflichtung nicht unterschreibt, wird nicht eingestellt." In ihrer Anfrage wollten die beiden Stadtratsmitglieder auch wissen, welche welche anderen Kommunen auch so verfahren. (Wortlaut der Anfrage: (pdf-File) (Word-Dokument) )

Die unverzügliche Beendigung dieser Praxis forderte dann auch eine einstimmig verabschiedete Resolution der Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Veranstaltung zum 40. Jahrestag des "Radikalenerlasses" am 27.03.2012 im Karlsruher Gewerkschaftshaus. Darin heißt es weiter: "Das ist die Praxis der skandalösen Berufsverbote, die nunmehr in das fünfte Jahrzehnt geht. Vom DGB und von den Einzelgewerkschaften wird erwartet, diese Forderung an die Stadt Karlsruhe zu unterstützen. Von den Fraktionen des Gemeinderats wird erwartet, einen entsprechenden Gemeinderatsbeschluss zu erwirken, um der Demokratie willen." (Wortlaut der entsprechenden Briefe: (pdf-File) )

Die Antwort der Stadtverwaltung (Gemeinderatssitzung vom 24.04.2012): Nein, es wird keine spezielle "Verpflichtung zur Verfassungstreue" verlangt. (pdf auf karlsruhe.de) (pdf lokal)