Der Kampf gegen ein Wörtchen

Foto: Titel der Broschüre „10 Jahre gegen die Berufsverbote. Eine Dokumentation für NRW“, hrsg. vom Koordinierungsausschuss der Bürgerinitiativen gegen Berufsverbote in NRW – für Verteidigung der verfassungsmäßigen Rechte. Erich Roßmann, Mettmann, 1982.

 

70 Millionen DM ließen sich die Berufsverbieter in den 1970er Jahren ihren „heroischen Kampf gegen ein Wörtchen“ zur „Abwehr der Berufsverbote-Kampagnen"“ kosten (siehe den Artikel aus der „Deutschen Volkszeitung“ vom 17.05.1979 und die dort zitierte Bundestagsdrucksache 8/2761 vom 20.04.1979 - pdf). Es hat nichts genützt - was freilich das Bundesinnenministerium nicht davon abhielt, 2012 in seiner Antwort auf eine Petition von Betroffenen auf seinen alten Sprachregelungen zu bestehen.

 

Was "les Berufsverbote" und "the Berufsverbot" ist, weiß man auch heute noch überall in Europa. Einige von uns Betroffenen sind damals in die Nachbarländer gereist, um darüber zu informieren. Wir bereuen es nicht und danken allen, die damals Solidarität mit uns geübt haben.

Und wagen zu behaupten: Ohne unseren damaligen Kampf gäbe es heute vielleicht keine EU-Richtlinie gegen politische Diskriminierung und kein Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, das sie in Deutschland umsetzt. Wie unvollkommen auch immer diese Umsetzung in der Realität aussieht.

 

[englischsprachige Materialien] [französischsprachige Materialien] [ILO-Bericht 1987 spanisch] [Material in weiteren Sprachen]

[Aktion in Strasbourg am 13.03.1976]

[Die Bedeutung des „Falles“ Silvia Gingold bei der Kampagne in Frankreich: HLZ 01-2017]

[Der „Radikalenerlass“ / le décret contre les radicaux - zweisprachig auf ARTE (Karambolage 406,  23.10.2016):  deutsch: (mp4) (pdf) - en français: (mp4) (pdf)]

 

Was den Sprachgebrauch in Deutschland anbelangt: Die Wikipedia defniert ein Berufsverbot im engen Sinn als „Anordnung eines Staatsorgans, die einer konkreten Person oder Personengruppe bestimmte Tätigkeiten untersagt. Davon abzugrenzen ist das Beschäftigungsverbot...“ Und „im allgemeinen Sprachgebrauch werden Maßnahmen als Berufsverbot bezeichnet, die die Berufsfreiheit de facto einschränken“.

Die Ausbildungsverbote, von denen wir hier zahlreiche Fälle dokumentieren, sind auch im engen Wortsinn wirkliche Berufsverbote. Dazu der ehemalige Bundesverfassungsrichter Dr. Herbert Scholtissek (1900-1979), Mitwirkender am KPD-Verbotsurteil von 1956, in einer am 27.12.1975 abgegebenen Stellungnahme: „Dadurch dass der Vorbereitungsdienst mit der Beamteneigenschaft gekoppelt ist, betrifft die Nichtzulassung zum Vorbereitungsdienst aus Gründen des Beamtenrechts die Berufswahl in ihrem Kern. Die Berufswahl (oder ein Zugang zum Beruf) wird bei der Verweigerung der Zulassung vereitelt. In der Ausbildungsordnung ist also keine bloße Regelung der Berufwahl zu sehen, die im Ermessen des Gesetzgebers steht, sondern sie verletzt wegen Verhinderung des Berufszugangs unmittelbar die jeder gesetzlichen Beschränkung entzogene Freiheit der Berufswahl. Aber selbst als Regelungsbestimmung wäre sie nach der Judikatur des BVerfG verfassungswidrig, da sie in ihrer Auswirkung einer Verhinderung des Zuganges zum Berufs gleichkommt.“ (Mehr zu diesem Gutachten auf dieser Sonderseite)

Trotzdem heißt es im rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart VRS V 405/77 vom 19.05.1978 gegen den Betreiber dieser Website (die Berufung wurde in 2. und 3. Instanz abgewiesen) wörtlich: „Schließlich kann sich der Kläger auch nicht auf Artikel 12 Absatz 1 Satz 1 GG berufen. Denn dieses Grundrecht wird im besonderen Fall der Zulassung zum öffentlichen Dienst durch die Spezialregelung des Art. 33 GG verdrängt, und es ist ein hergebrachter Grundsatz des Beamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG, dass jeder Bewerber für ein Amt im öffentlichen Dienst die Gewähr dafür bieten muss, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten. Dem liegt die letztlich selbstverständliche Erkenntnis zugrunde, dass ein Staatswesen, das der ‚politischen Loyalität’ seiner Bediensteten nicht sicher sein kann, sich der Gefahr der Selbstaufgabe ausliefert. § 6 Abs. 1 Nr. 2 LBG [Landesbeamtengesetz], der diesen Grundsatz auf der Ebene des einfachen Rechts konkretisiert, gilt somit grundsätzlich für alle Beamtenverhältnisse. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht (NJW 1975, 1649) im Zusammenhang des juristischen Vorbereitungsdienstes ausgeführt, dass bei Beamtenbewerbern, welche die Übernahme in ein beamtenrechtlich ausgestaltetes Ausbildungsverhältnis begehren, dessen erfolgreiche Abwicklung Voraussetzung für Berufe auch außerhalb des öffentlichen Dienstes ist, Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG nach den jeweiligen Umständen eine verfassungskonforme Einschränkung der politischen Treuepflicht erforderlich machen kann bzw. dass es in derartigen Fällen geboten sein kann, einen nicht-diskriminierenden Vorbereitungsdienst anzubieten, welcher der politischen Loyalitätspflicht im hier dargelegten Sinn nicht unterliegt. Um einen vergleichbaren Fall handelt es sich hier indessen nicht. Denn anders als beim juristischen Vorbereitungsdienst, der unzweifelhaft auch zu zahlreichen Berufen hinführt, die nicht der beamtenrechtlichen Treuepflicht unterliegen, ist im Fall des Gymnasiallehrers jedenfalls im Land Baden-Württemberg kein Fall denkbar, in welchem [der] Lehrerberuf, auf den überdies der Vorbereitungsdienst jedenfalls in seiner lehrpraktischen Phase ausschließlich ausgerichtet ist, gänzlich außerhalb der in § 6 Abs. 2 Nr. 2 LBG vorausgesetzten politischen Treuepflicht ausgeübt werden könnte. Denn auch die Privatschulen sind gemäß § 2 des Privatschulgesetzes den Grundsätzen des Art. 12 Abs. 1 der Landesverfassung unterworfen, wonach es eine der Aufgaben schulischer Erziehung ist, die Jugend zu freiheitlicher demokratischer Gesinnung zu erziehen .... Ein Lehrer, an dessen Verfassungstreue Zweifel bestehen, bietet somit auch nicht die Gewähr seiner Eignung zum Privatschullehrer. Der Kläger hat im Übrigen selbst nicht behauptet, dass ihm der Vorbereitungsdienst, zu dem er zugelassen werden will, den Zugang zu einem anderen Beruf als dem des Lehrers verschaffen soll, so dass eine Verletzung gerade der Berufsfreiheit des Klägers ... auch insoweit nicht ersichtlich ist." Also ein echtes Berufsverbot.

 

Konferenz an der Universität Roskilde (Dänemark), 8. April 2016 (Foto: Bernhelm Booss-Bavnbek)