Wie der „Verfassungsschutz“ in Bewerbungsverfahren usw. einbezogen ist

Eine Internetrecherche der Redaktion berufsverbote.de hat für Mitte Januar 2022 folgenden Stand der Beteiligung des „Verfassungsschutzes“ an Einstellungen ergeben.

Generell gilt, dass die sogenannte „Einwilligung“ zur Einschaltung des Inlandsgeheimdienstes kaum jemals freiwillig sein dürfte, da eine Nicht-Einwilligung zur Ablehnung oder „Regelanfrage“ führt.

 

Bund: Bei Bundespolizei, Bundes„verfassungsschutz“, Bundeskriminalamt und Bundeswehr. Ein „Aktionsplan“ für weitergehende Maßnahmen sollte von Innenministerin Nancy Faeser bis Ostern 2022 vorgelegt werden (Stuttgarter Zeitung online 23.01.2022). Bei der Vorsprache von drei Berufsverbots-Betroffenen im Bundesinnenministerium am 19.05.2022 lautete die Aussage, „dass es bei den Ankündigungen des Ampel-Koalitionsvertrages zur Bekämpfung von ‚Verfassungsfeinden’ ausschließlich um eine Verfahrens-Beschleunigung beim Disziplinarrecht bei manifesten Dienstvergehen gehen solle, nicht um die Reaktivierung der ‚Gewährbieteklausel’. Die ‚Regelanfrage’ werde auf Bundesebene nicht wiederbelebt. Eine politische Eignungsprognose über Menschen, die den Beamtenstatus anstreben, werde es allerdings weiterhin geben. Dafür müsse es aber Indizien geben, die aus tatsächlichen verfassungsfeindlichen Handlungen bestehen.“

Baden-Württemberg: Bisher nur für den Polizeidienst ein Fragebogen wie in Bayern; wenn dadurch oder sonst im Bewerbungsverfahren „Zweifel“ aufkommen, wird angefragt.

Bayern: Regelanfragen bei Richter:innen, Staatsanwält:innen, Polizist:innen. Für alle anderen im öffentlichen Dienst der bekannte Fragebogen zur Mitgliedschaft in bestimmten Organisationen. Bei „Auffälligkeit“ oder Herkunft aus bestimmten Ländern (!) erfolgt eine Anfrage.

Berlin: Regelanfrage für Polizist:innen geplant (nach Verbeamtung in regelmäßigen Abständen erneut)

Brandenburg: Regelanfragen sind geplant für den gesamten öffentlichen Dienst – Beamte und Angestellte. Gesetzentwurf Stand Mai 2022 - dazu: junge Welt 04.05.2022 - DGB-Stellungnahme zum Gesetzentwurf - Kommentar von Matthias Schlenzka, Abteilungsleiter der Abteilung öffentlicher Dienst und Beamtenpolitik des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg, in der Zeitschrift Personalrat 06/2022. Den uns bekannten aktuellen Stand der Planungen zur gesetzlichen Einführung eines „Verfassungstreue-Checks“ – also nicht etwa eines „Erlasses“ wie 1972 – dokumentiert die junge Welt am 02.07.2022 („Deckmantel für Berufsverbote“) - Entschließung der DGB-Veranstaltung „Berufsverbote gestern, heute und morgen“ in Stuttgart am 06.07.2022 - Ralf Hohmann: Die Wiederkehr der Berufsverbote. unsere zeit 15.07.2022 - Martin Hornung: Woidkes »Lösung« für neue Regelanfrage. Brandenburgs SPD-Ministerpräsident hofft auf Unterstützung der Gewerkschaften. junge Welt 19.07.2022 - Ein Beitrag von Igor Göldner in der Märkischen Allgemeinen vom 29.07.2022 erwähnt Zweifel der GRÜNEN an den CDU-Plänen, jedoch mit keinem Wort (mehr), dass diese sich angeblich gegen Rechts richten sollen.

Bremen: Regelanfrage im Polizeidienst (entsprechend § 145 BremPolG, auch Angestellte; auch später in regelmäßigen Abständen erneut) und für Richter:innen/Staatsanwält:innen (spätere Nachüberprüfungen bei diesen anscheinend wieder auf Eis gelegt)

Hamburg: Regelanfrage bei Polizist:innen bei Einstellung und dann alle 10 Jahre neu laut § 34 Abs. 1a HmbSGG

Hessen: Regelanfragen bei Richter:innen, Staatsanwält:innen und geplant bei Polizist:innen

Mecklenburg-Vorpommern: Regelanfrage bei der Polizei, Richter:innen/Staatsanwält:innen (laut § 3a RiG M-V) sowie bei Tätigkeit im Justizdienst als Gerichts- und Bewährungshelfer:in, als Psycholog:in der Forensischen Ambulanz im Landesamt für ambulante Straffälligenarbeit oder als Rechtspfleger:in (laut § 12a LBG M-V)

Niedersachsen: Regelanfrage bei Richter:innen/Staatsanwält:innen und geplant bei der Polizei (wobei die pro-forma-„Einwilligung“ künftig wegfallen soll).

Nordrhein-Westfalen: Regelanfrage beim Polizeidienst; dazu Zitate: „2018 hatte Reul in NRW als erstem Bundesland überhaupt veranlasst, dass die Kommissaranwärter vor der Einstellung einer Regelüberprüfung beim Verfassungsschutz unterzogen werden.“ (PM des Innenministeriums); „Von knapp 9000 Bewerbern für den aktuellen Einstellungsjahrgang bei der Polizei ist bislang nur ein einziger Mensch ausschließlich wegen Erkenntnissen des Verfassungsschutzes über ihn abgelehnt worden.[...] Demnach waren zunächst 14 Personen aufgefallen, von denen elf aus anderen Gründen im Bewerbungsverfahren durchfielen. Bei zweien hätten sich die ersten Erkenntnisse während des Einstellungsverfahrens nicht bestätigt, so das Ministerium.“ (Rheinische Post); „Rechtsextreme beim NRW-Verfassungsschutz“ (Deutsche Welle)

Rheinland-Pfalz: Regelanfrage im Polizeidienst laut 67 POG RLP; auch für externe Dienstleister etc.

Saarland: Regelanfrage im Polizeidienst (aktueller Stand nicht ganz klar)

Sachsen: Regelanfrage im Polizeidienst (geplant) und juristischen Referendariat ; überlegt wird, im Rahmen eines sogenannten „Gesamtkonzepts gegen Rechtsextremismus“ (S. 95)den gesamten öffentlichen Dienst wie in Brandenburg zu „überprüfen“: „Meilensteine: [...] Eruierung von Möglichkeiten der Überprüfung der Verfassungstreue im Rahmen der Einstellung von Bewerberinnen/Bewerbern in den öffentlichen Dienst und anlass- bzw. verwaltungsbereichsbezogen, z. B. nach Ende der Probezeit oder bei der Auswahl für Führungspositionen, von Beschäftigten im öffentlichen Dienst und der Sanktionierung mangelnder Verfassungstreue, u. a. im Rahmen von disziplinarrechtlichen Verfahren (bis Ende 2021)“

Sachsen-Anhalt: Regelanfrage im Polizeidienst ab 1. März 2022 (MDR, Süddeutsche Zeitung)

Schleswig-Holstein: Regelanfrage im Polizeidienst war geplant, scheint auf Eis zu liegen

Thüringen: Wer der „Anfrage“ beim „Verfassungsschutz“ nicht präventiv zustimmt, wird auf jeden Fall „überprüft“ („Regelanfrage durch die Hintertür“)

 

Ein 15seitiges Papier zu „disziplinarrechtlichen Konsequenzen bei extremistischen Bestrebungen“ mit „Handlungsempfehlungen“ wurde schon 2020 im Kreis der Innenminister diskutiert, berichtete die Stuttgarter Zeitung online am 23.01.2022

Wie die Einstimmung der öffentlichen Meinung vor sich geht, zeigt zum Beispiel dieser Kommentar in der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27.01.2022 (Text als pdf) Marlene Grunert: Extremisten im Staatsdienst. Der Radikalenerlass von 1972 zählt nicht zu den Ruhmesblättern der sozialliberalen Koalition. Fünfzig Jahre später wären Ansätze des damaligen Eifers mancherorts angebracht. - Der Kommentar handelt von Richtern, die sich wie Neonazis aufführen, aber nach wie vor amtieren, weil angeblich nichts gegen sie unternommen werden könne. Eingangs wird die von der Forschung widerlegte These aufgestellt, Sorgen über die damaligen Wahlerfolge der NPD hätten 1972 eine nennenswerte Rolle gespielt. Das war ein späteres Propaganda-Narrativ. Die Wortwahl „Extremisten“ macht deutlich, worum es bei Rufen nach Ansätzen des damaligen Eifers auch heute in Wirklichkeit geht.

Am 23.01.2022 - nach der Kinopremiere und Ausstrahlung des ARD-Films - müssen in Stuttgart einige Telefone hei gelaufen sein. Ein redaktioneller Beitrag von Armin Käfer 50 Jahre Radikalenerlass - Jagd auf unliebsame Staatsdiener war in der Online-Version der Stuttgarter Zeitung am 23.01.2022 zunächst flankiert von einem weiteren: Beamte und die AfD. Verfassungsfeinde im Staatsdienst?. Daraus wurde in der Printausgabe am 24.01.2022 ein Aufmacher Staat will radikale Beamte loswerden, ein Tagesthema: Wie umgehen mit Verfassungsfeinden und auf Seite 3 ein Kommentar: Extremisten können nicht Beamte sein. Für seriöse Staatsdiener wäre eine als verfassungsfeindlich etikettierte AfD keine Alternative mehr.“Da der baden-württembergische CDU-Innenminister Thomas Strobl ebenso zitiert wird wie „Experten beim Bundesamt für Verfassungsschutz“, darf man raten, woher die Terminologie stammt, wer also weiterhin in Wirklichkeit gemeint ist und welche andere parteipolitische „Alternative“ den von der AfD sich angesprochen fühlenden „seriösen Staatsdienern“ wohl nahe gelegt werden soll.