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Horst Bethge


Referat auf der Eröffnungsveranstaltung der Konferenz
"30 Jahre Berufsverbot mahnen!"
9./10. 2. 02 Hamburg


Berufsvebotepolitik seit 1971 bis jetzt - Erfahrungen und Lehren


Anlaß für unsere heutige Konferenz ist, dass hier in dieser Stadt vor gut 30 Jahren der Radikalenerlaß aus der Taufe gehoben wurde, der - wie wir alle wissen - dann am 28.1.72 zum Ministerpräsidentenbeschluß führte. Seitdem ist die Berufsverbote-Politik offizielle Politik in der BRD - und seit 1989 auf die neuen Bundesländer ausgedehnt worden. Die damals beschlossenen Verfahrensregelungen sind alle noch in Kraft - siehe die bayrische Liste zur Regelanfrage von diesem Monat- sie werden nur nicht mehr wie früher angewendet ( nur das Saarland hat sie offiziell aufgehoben). Das ist der Anlaß.

Wir versammeln uns in einer Stadt, die jetzt nach 44jähriger SPD-Dominanz von einer Mitte-Rechts-Koalition regiert wird mit einem Innensenator Schill, der sich - wenn er will und kann - dieses Instruments jederzeit wieder bedienen kann.

Hier in Hamburg kämpfen zwei Betroffene, Uwe Scheer und Gustav Steffen, immer noch vor Gerichten um ihre Rehabilitation. Auch für die insgesamt 150 Betroffenen in Hamburg insgesamt hat es keine volle Rehabilitation, geschweige denn Wiedergutmachung gegeben. Darum ist diese Konferenz eine Notwendigkeit um zu fordern: volle Rehabilitierung und Wiedergutmachung, ersatzlose Aufhebung aller Diskriminierungen.

Wir tagen in einem Haus, dem Gewerkschaftshaus der GEW, in dem es seit 1971 immer wieder Versammlungen und Veranstaltungen mit diesen unseren Forderungen gegeben hat. Und jetzt fordert die GEW wie die PDS Aufhebung und Rehabilitierung. Wir hoffen, dass es durch solche Veranstaltungen wie diese nicht die einzige bleiben, die dieses fordern.

Aber es gibt m. E. noch einen dritten Grund: Die Terroranschläge vom 11 .9. 01, die zweifellos ein abscheuliches Verbrechen darstellen, haben auch in unserem Lande zu zwei Schlussfolgerungen bei den Herrschenden geführt, die uns mit unserer 30jährigen Erfahrung alarmieren: In unserem Lande werden wieder Schriftsteller, Journalisten, Lehrer diffamiert, strafversetzt, suspendiert und diszipliniert,weil sie entweder für friedliche Konfliktlössung - wie im Fall Bernhard Nolz - vor Schülern eingetreten sind, oder als mißliebig empfundene Äußerungen in der Diskussion mit Schülern gemacht haben wie Kollegin Petra Seedorf aus Sachsen. Das sollten wir nicht vorschnell als Berufsverbot hochstilisieren, wie es in einem Studentenflugblatt geschieht. Aber Meinungsäußerungs- und Lehrfreiheit sind wieder in Gefahr. Wie damals, als Berufsverbote auch damit begannen, dass Horst Holzer am 27. 11. 71 als potentieller Jugendverderber nicht an die Uni Bremen berufen wurde, weil Bürgermeister Hans Koschnik lieber Beamte haben wollte, die in der Krise aus dem Rathaus heraus schießen als solche, die hineinschießen, wie er es ausdrückte.

Und wir tagen hier im Uni-Viertel,wo zur Zeit 140 Hamburger arabische Studenten, die in der Rasterfahndung herausfielen, von der Polizei verhört werden. Sie müssen bei der Hamburger Polizei - die um 100 CIA u. FBI-Beamte verstärkt wurde - antanzen und sich einer Befragung von 4 Beamten stellen und dabei mitbringen: Heirats- und Geburtsurkunde, Studienunterlagen aller Kurse, Mietverträge, Arbeitsbescheinigungen, alle Flug- und Reiseunterlagen, Kontoauszüge,Vereinsmitgliedschaften. Die Hamburger Hochschulen haben nämlich die Daten ausländischer Kommilitonen aller 33 000 Studenten für die Rasterfahndung der Polizei übergeben. Wieder einmal wird die vermeintliche Sicherheit den Geheimdiensten anvertraut - wo Ende der 80iger Jahre doch eigentlich klar war, dass Verfassungsschutz und Geheimdienst diskreditiert sind, die Demokratie nicht schützen, sondern zerstören und unterhöhlen. Es stand die Abschaffung des Verfassungsschutzes auf der Tagesordnung - jetzt hat er in Hamburg 15 Planstellen zusätzlich bekommen. Man will die terroristischen Schläfer herausbekommen - so wie man damals mit Berufsverboten prophylaktisch die potenziellenVerfassungsfeinde fernhalten wollte.

Insofern thematisieren wir hier auch die Frage der sogenannten Sicherheitsgesetze. Gemeint sind die vom Bundestag verabschiedeten Gesetzesänderungen (17 Gesetze und 5 Verordnungen geändert, die Sicherheitsbestimmungen in rund 100 Gesetzen wurden schärfer gefasst, 9 Mill. Menschen wurden dem Datenzugriff direkt ausgeliefert). Dazu gehört auch die Ausdehnung der lautlosen Sicherheitsüberprüfungen in Betrieben - die der Bevölkerung dienen oder die für das Funktionieren der Gesellschaft notwendig sind - wie es in der Gesetzesbegründung heißt.

Dieser "totalitäre Geist" (FDP Hirsch, Südd. Zeitung v. 2. 11. 01) und die aktuelle "Grundsteinlegung für einen Geheimdienststaat" (Thilo Weichert DVD) alarmiert nicht nur uns: Gerade jetzt sind unsere Erfahrungen mit dem Verfassungsschutz gefragt - und zahlreiche Journalisten haben das aus Anlaß des 30. Jahrestages gefragt. Wir sollten deshalb in der aktuellen Diskussion mit unseren Erfahrungen offensiver umgehen und verstärkt die Öffentlichkeit mahnen und erinnern!

Aus 30 Jahren Berufsverbotepolitik gibt es Erfahrungen und Lehren, die zu ziehen sind:

1. Die unselige, absichtsvolle Vermischung von Terrorismus, Gewalt, Extremismus und Links, von Rechts betrieben, und das suggerierte Sicherheitsgefühl, der Staat müsse mit harter Hand und Stärkung der Sicherheitsorgane dagegen vorgehen, ist der Nährboden für massenhafte Grundrechtsverletzungen - damals wie heute.

2. Mit Anhörungen, wie wir sie erlebt haben und wie sie heute an unseren arabischen Kommilitonen wieder vollzogen werden, mit Inquisition also, kann man nicht das richtige oder falsche Verhalten im Rahmen der gesetzlich zugelassenen Freiheit zweifelsfrei herausfiltern (wie Bundesverfassungsrichter Bökenförde schon 1978 richtig feststellte). Aber man kann - und das soll es auch - das Vergewissern einer richtigen Gesinnung erzeugen, letztentlich einer antikommunistischen Gesinnung, einer Gesinnung der "uneingeschränkten Solidarität" (Schröder). Wer sich dem nicht fügt, wird als "5. Kolonne Moskaus" wie damals oder als "5. Rad am Wagen des Terrorismus" (Paul Breuer, CDU- MdB im Fernsehen zu B. Nolz in Siegen) bezeichnet und für vogelfrei erklärt.

3. Die Gefährdung der Demokratie geht von Rechts aus. Ihre Maßnahmen zerstören das demokratische Fundament der Zivilgesellschaft, u.a. auch, weil sie "hunderttausende von Jungwählern verunsichern" (Klose 1978). Die gesellschaftspolitische Offenheit des Grundgesetzes, das dynamisches Grundrechtsverständnis und das vom BDA von 1971 beklagte "Nachlassen des emotionalen Antikommunismus" ließ auf der Rechten immer wieder Forderungen nach "Totalrevision des Grundgesetzes" (Dichgans, Forsthoff, Benda) und von Grundrechtseinschränkungen aufkommen. Sie warten nur auf eine Gelegenheit, erkämpfte demokratische Errungenschaften zu revidieren. 1971/72 erhoben sie Geschrei, als die SPD mit ihrer Entspannungspolitik sich dem Osten öffnete, 1971 forderten Strauß und Barzel das Verbot der DKP - jetzt fordern sie Maßnahmen gegen den Terrorismus.

4. Es kommt aber immer dann zu antidemokratischen Einbrüchen, wie 1972 und jetzt, wenn die SPD oder die liberalen Linken nicht auch in solchen Situationen die Grundrechte und die demokratischen Freiheiten offensiv hochhalten. Das Nachgeben damals gebar die Berufsverbote, eine sozialdemokratische Erfindung. Die Schily'schen Sicherheitsgesetze jetzt reihen sich da auch ein. (Und es ist schon ein Treppenwitz der Geschichte, dass diejenigen, die sich 1974-85 mit uns gegen die Berufsverbote als Gefährdung der Demokratie und die unheilvolle Rolle des Verfassungsschutze massiv gewehrt haben - ich nenne nur Heidi Wiecorek-Zeul, Gerhard Schröder, Joschka Fischer, Olaf Scholz, Sigmar Gabriel, Hertha Däubler-Gmelin, Otto Schily, Jürgen Trittin - die als Anwälte, auf Pressekonferenzen oder Mitglieder unseres Arbeitsausschusses gegen Berufsverbote offen auftraten - jetzt den neuerlichen Demokratieabbau betreiben. Und auch, als wir uns 1999 brieflich an Schröder und Fischer um Rehabilisierung wandten, ließen sie uns antworten, dass sie das nicht bräuchten - und sie ließen dieVerwendung des Begriffs Berufsverbote kritisieren. Da nützt es gar nichts, hinterher Unvereinbarkeitsbeschlüsse in den Gewerkschaften, Abgrenzungsbeschlüsse gegen die Kommunisten, wie in der SPD von 1970/71 oder die Berufsverbote als "Irrtum" (W. Brandt 1976) oder "als größten Fehler der SPD" (Glotz Spiegel 23. 10. 78) zu bezeichnen. Wer meint, das Ambivalenzrisiko für das Großkapital durch Zugeständnisse beim Demokratieabbau mindern zu können, verspielt so oder so demokratische Substanz und bekommt die geöffneten Schleusen nicht wieder zu - wie wir gesehen haben.

5. Denn hinterher ist eine Korrektur schwer. Mit "rattenhafter Wütigkeit" (Karl Ravens, SPD Hannover) wird an den administrativen Maßnahmen festgehalten. Von den 11 000 Berufsverbote-Verfahren gibt es erst einen Fall von voller Rehabilitation (D. Vogt) und einen Fall, wo die Dossiers und Verfassungsschutzakten vernichtet werden mußten (Hans Roth, Limburg/Lahn). Das Versprechen der SPD-Fraktion vom 21. 11. 90 "nach Beendigung des Ost-West-Konfliktes die noch offenen Folgen des kalten Krieges zu beseitigen und die mit diesem Konflikt verbundenen Straf- und Disziplinar-Verfahren zu einem befriedigenden Abschluss zu bringen" ist noch immer uneingelöst.

6. Darum soll an eine weitere Erfahrung aus der Berufsverbote-Bewegung erinnert werden:Erfolge imKampf um demokratische Rechte können wir nur gemeinsam haben. Solidarität ist das Schlüsselwort. Das verlangt viel: Für die Rechte eines arabischen, moslemischen Studenten heute ebenso einzutreten, wie gemeinsam gegen die Sicherheitsgesetze. Gegen ein Berufsverbot eines Maoisten, Trotzkosten, Sozialdemokraten, DKPisten damals einzutreten, auch wenn man nicht seine Position teilt. Solidarisch mit Petra Seedorf und Bernhard Nolz sein, auch wenn man den Inhalt seiner Rede und ihrer Äußerung nicht teilt. Es gilt nach wie vor: Nur gemeinsam sind wir stärker. Immerhin haben wir 80 % der Berufsverbotefälle gemeinsam zurückgekämpft und erfolgreich abgeschlossen. Das gilt aber auch, wenn ein FDGB - oder SED-Funktionär wegen dieser Funktion und Aktivitäten in der DDR nach 1989 vom öffentlichen Dienst ausgeschlossen wurde. Weil diese Solidarität so schwer ist und nicht immer funktioniert, haben wir nicht immer eine aktive Solidaritäts-Bewegung (Und darum fordere ich die Anrufer und Briefschreiber zu dieser Konferenz auf, dies zu bedenken, die uns kritisieren, weil wir nicht deutlich genug gesagt hätten, dass Berufsverbote letztendlich nur gegen die DKP gingen oder weil wir auch gegen die Berufsverbote in den neuen Bundesländern sind).

Und noch eins: Ich weise die Unterstellung zurück, wir hätten die Konferenz gemacht, um eine Retourkutsche zu reiten, weil die PDS in der Berliner Präambel zum Koalitionsvertrag eine Entschuldigung gegenüber der SPD aussprechen müßte. Nein: Entschuldigungen sind nicht unsere Sache - das mag der Papst tun - uns geht es um politische, moralische und historische Aufarbeitung - wie es Schweden, Norwegen, die Schweiz und Österreich mit ihren Geheimdienstskandalen getan haben.

7. Aber noch eine letzte Erfahrung und Lehre soll hier angeführt werden: Schwer durchzustehen ist die persönliche Seite für die Betroffenen. Nicht nur, weil die gesamte Familie davon betroffen ist - täglich, stündlich. Sondern auch, weil die gesamte Persönlichkeit durch den politischen Gegner gezwungen wird, sich zu reduzieren, sich auf einen Punkt zu konzentrieren, auch täglich, überall und immer: auf die Beseitugung des persönlich ergangenen Unrechts. Man kannn sich in der Politik aussuchen, ob man im Mieter-Inis oder Friedens-Inis oder Gewerkschaften den politischen Schwerpunkt setzt. Wer Berufsverbot hat, kann das nicht - ob er will oder nicht - er muß hier den Kampf aufnehmen - oder er/sie hat schon verloren. Und etwas weiteres: man muß mit seinen Zweifeln fertigwerden, ob man nicht doch Fehler gemacht hat, weil es einen gerade getroffen hat, andere nicht. Der Spagat, als eine oder einer stellvertretend für eine Partei, Gruppe, letztendlich für eine abstrakte politische Bewegung oder Richtung herhalten zu müssen, zwischen bequemen "Sich - schicken" oder Widerstand, muß ausgehalten werden. Viele der heute hier Anwesenden haben dies geleistet. Dafür sei heute Dank gesagt. Es sind also immer Einzelne, die stark sein müssen. Darum: stützen wir sie! Stützen wir uns gemeinsam. Darum sei hier an den Heinrich-Heine-Fonds erinnert, der materielle Solidarität vermittelte.

Die Konsequenz aus alledem und 30 Jahre Kampf gegen das Berufsverbot, der für viele von uns ein wichtiges Stück des Lebens ist: Kämpfen wir gemeisam gegen die aktuelle Gefährdung der Demokratie, stellen wir uns vor jeden einzelen Betroffenen!


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