Baden-Württemberg: Forschungsergebnisse liegen auf dem Tisch und nichts passiert

Über die Handhabung und Entwicklung des „Radikalenerlasses“ in Baden-Württemberg erschien 2022 das Buch „Verfassungsfeinde im Land? Der ‚Radikalenerlass' von 1972 in der Geschichte Baden- Württembergs und der Bundesrepublik(Hg.: Edgar Wolfrum, Göttingen: Wallstein, 2022, ISBN 978-3-8353-5160-8) Es war das Ergebnis eines 2018-2021 laufenden, vom baden-württembergischen Wissenschaftsministerium finanzierten Forschungsprojekts. Und trotzdem bewegt sich politisch nichts.  Mehr dazu hier

 

Vier baden-württembergische Ergänzungstafeln zur Ausstellung "'Vergessene' Geschichte - Berufsverbote, Politische Verfolgung in der Bundesrepublik Deutschland". - Das Referat bei der Eröffnung der Ausstellung am 13. April 2016 gab einen Überblick über einige "Besonderheiten" der Berufsverbote-Politik in Baden-Württemberg. Am Fallbeispiel von Sigrid Altherr-König zeichnete die GEW-Mitgliederzeitung b+w 01/02-2019 die baden-württembergische Entwicklung nach einschließlich eines Berichts über die Stuttgarter Kundgebung am 10.12.2018.

 

Die Vorgeschichte

 

Nach einer langen Ära erbarmungslos verhängter Berufs- und Ausbildungsverbote - woran sich auch nach dem Abtreten des „furchtbaren Juristen“ Hans Filbinger (1913-2007) und einer ausführlichen Landtagsdebatte am 21.09.1978 nichts und nach einer weiteren Landtagsdebatte am 06.05.1987 nur wenig änderte [Rednerliste der beiden Landtagsdebatten] - wurde 2000 in einem Ausschuss des Landtags von Baden-Württemberg zwischen den dort vertretenen Fraktionen (CDU und FDP auf der Regierungsseite, SPD und Bündnis 90/GRÜNE als Opposition) ein Text ausgehandelt, der in der Plenumssitzung vom 18.5.2000 ohne weitere Diskussion zu einem Beschluss des Landtags erhoben wurde: Landtagsdrucksache 12/5112 (pdf, 41 kB) (beschlossen wurde der Text auf Seite 39).

 

Regelanfragen waren ab 1991 nicht mehr durchgeführt worden, und „mit Erlass des Innenministeriums vom 19. Januar 1998 erfolgte eine aktualisierte Darstellung zu den Grundsätzen der Verfassungstreueprüfung im öffentlichen Dienst u. a. im Hinblick auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 26. September 1995“.

 

Damit, dachten im Jahr 2000 alle, sei das Thema Berufsverbote in diesem Bundesland ausgestanden. In der Folgezeit wurden einige der Betroffenen der 70er und 80er Jahre tatsächlich in den Schuldienst eingestellt. Dann versuchte ab Dezember 2003 die damals amtierende Kultusministerin Annette Schavan (geb. 1955) eine Neuauflage der Berufsverbotepolitik. Sie sollte exemplarisch an dem aktiven Antifaschisten Michael Csaszkóczy durchgezogen werden. Zuvor waren still und heimlich am 18.7.2003 neue „Verwaltungsvorschriften“ zu § 6 des Landesbeamtengesetzes von Baden-Württemberg in Kraft gesetzt worden. Eine „Regelanfrage“ beim Geheimdienst war weiterhin nicht vorgesehen, doch wurden erneut die diffamierenden politischen Bewertungen des Landesamtes für „Verfassungsschutz“ zum Maßstab dafür erklärt, wer eingestellt werden darf und wer nicht (siehe Punkt 10.2). Diesem (und dem Innenministerium) war damit auch eine (neue) „rechtliche“ Handhabe gegeben, um selbst mit „Hinweisen“ Druck auf eine entsprechend willige Einstellungsbehörde ausüben zu können. Damit war durch die Hintertür der „Radikalenerlass“ in neuer Form installiert worden - um dann auch gleich praktiziert zu werden. Vielleicht als bundesweiter Testfall. Anfänglich wollten das viele nicht glauben - aber es war so.

 

Michael Csaszkóczy bekam schließlich nach dreijährigem Kampf von Verwaltungsgerichten in zwei Bundesländern Recht, wurde 2007 eingestellt und bekam sogar Schadenersatz zugesprochen. (Bericht darüber) (Bericht über die Güteverhandlung und die Sichtweise der Richter). Obwohl es in der juristischen Auseinandersetzung nie thematisiert wurde, dürfte das Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes am 18.08.2006 - als Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinie zum Diskriminierungsverbot - hier eine gewisse Rolle gespielt haben.

 

Immer noch waltet der Geist des alten „Radikalenerlasses“

 

Das baden-württembergische Beamtenrecht wurde 2010 geändert. Die „Verwaltungsvorschrift“ von 2003 trat am 31.12.2010 formal außer Kraft. Die „Voraussetzungen des Beamtenverhältnisses“ sind jetzt im „Gesetz zur Regelung der Statusrechte der Beamtinnen und Beamten in den Ländern (Beamtenstatusgesetz)„ geregelt - einem 2008 in Kraft getretenen und zuletzt 2009 geänderten Bundesgesetz. Die bekannte „Gewährbieteklausel“ findet sich hier in § 7 Abs.1 Nr. 2. 

 

Weiterhin lassen öffentliche (Landes-)Arbeitgeber auch in diesem Bundesland ihre Tarifbeschäftigten eine „Belehrung und Erklärung„ unterschreiben, die zwar in einer uns vorliegenden Fassung- „Stand 05/2008 - auf neue Tarifverträge, aber zugleich auf die ursprüngliche Landes-Umsetzungsregelung des alten „Radikalenerlasses“, den nach dem damaligen Innenminister Karl Schieß (1914-1999) benannten sogenannten „Schieß-Erlass“ von 1973, verweist. Selbst unbezahlte Rotkreuz-Praktikanten an einer Uniklinik bekamen im Jahr 2013 diese 40 Jahre alte „Belehrung“ ausgehändigt und mussten sie ausfüllen. Hier wurde so gehandelt, als habe sich nicht einmal formal etwas geändert.

 

Waren das nun Einzelvorgänge aus Dienststellen, die nicht wussten, wie die neue Lage ist – oder hatte es System? Und wie geht es in dieser Frage überhaupt weiter in diesem Bundesland, wo die CDU am 27.3.2011 nach 58 Jahren abgewählt wurde? Würde nun wenigstens die nunmehr „grün-rote“ Landesregierung unter Winfried Kretschmann - als Lehrer einstmals selbst vom Berufsverbot betroffen - dem Beispiel Bremens oder Niedersachsens folgen - oder bekommt Baden-Württemberg wieder bayerische Verhältnisse?

 

Aktueller Stand des Beamtenrechts

 

Die baden-württembergische SPD hatte ab 1973 - nach ihrem Ausscheiden aus einer „Großen Koalition“ im Land, die noch während der Verabschiedung des bundesweiten „Radikalenerlasses“ im Januar 1972 bestand - dessen Landes-Umsetzung, den sogenannten „Schieß-Erlass“, immer abgelehnt. Auch der DGB führte eine Auseinandersetzung um die Berufsverbote in Baden-Württemberg, wie in einem Beitrag des damaligen DGB-Landesvorsitzenden Siegfried Pommerenke (1933-2016, vor seiner Wahl zum DGB-Vorsitzenden SPD-Landtagsabgeordneter) in dem 1987 erschienenen Buch Berufsverbote und Menschenrechte in der Bundesrepublik nahzulesen ist, das den Text des kurz zuvor erschienenenen ILO-Berichts dokumentiert. Eine andere Politik verfolgte allerdings der 2011 ins Amt gelangte sozialdemokratische Innenminister Reinhold Gall. Er wollte zu der nunmehr vorgefundenen Gesetzeslage „eine Verwaltungsvorschrift zur Durchführung beamtenrechtlicher Vorschriften (BeamtVwV) erlassen“, deren Anhörungsentwurf vom Februar 2014 im GEW-Jahrbuch Baden-Württemberg für 2015 (S. 120ff.) abgedruckt war. In der hier wiedergegebenen Form, Punkt 1.11 (GEW-Jahrbuch 2018, S. 125) ist sie in Kraft. In entscheidenden Punkten - einschließlich der Deutungshoheit des „Verfassungsschutzes“ - deckt sich der Inhalt wortwörtlich mit dem, was angeblich „abgeschafft“ sein soll. Ergeben sich „insbesondere im Einstellungsgespräch“ – sonstige Denunziationen und Brunnenvergiftungen sind nicht ausgeschlossen, siehe Michael Csaszkóczy 2003 bis 2007 – „Zweifel an der Verfassungstreue ..., ist über das Innenministerium eine Anfrage an das Landesamt für Verfassungsschutz zu richten“. Diese ist „zu begründen“ und das Amt soll „nur Auskünfte aus Datenbeständen des Verfassungsschutzes und der Sicherheitsbehörden“ einholen, „besondere auf die Bewerberin oder den Bewerber ausgerichtete Ermittlungen des Verfassungsschutzes finden nicht statt“. Und es sollen „nur rechtserhebliche Tatsachen“ mitgeteilt werden, wobei vom zwischengeschalteten Innenministerium „sogenannte Jugendsünden und Bagatellfälle von der Weitergabe aus[geschieden werden], sofern nicht zusätzliche Erkenntnisse über die angefragte Person vorliegen“ und das Innenministerium nur „offen verwertbare Tatsachen“ an die Einstellungsbehörde durchreicht. Die kann dann eine „Anhörung“ durchführen.

(Man kann den Worlaut als klare Anleitung an die Schnüffler lesen: Macht eure Hausaufgaben schon vorher, bespitzelt die Linken und Antifaschisten so gründlich und flächendeckend, dass ihr die „Auskünfte“ parat habt, bevor die Leute sich bewerben. Und an das Innenministerium: Man kann euch auch „Tatsachen“ mitteilen, die „nicht offen verwertet“ werden können, die der Einstellungsbehörde nicht schriftlich weitergegeben werden, die die Betroffenen nicht erfahren sollen und auf die sie dann auch nichts erwidern können. Macht es dann diskreter und „verwertet“ sie anders!)

 

Geplante „Fragebögen“

 

Die in der aktuell gültigen „Verwaltungsvorschrift“ beschriebene Prozedur enthält eine „Belehrung“ und „Erklärung“, jedoch keinen „Fragebogen“ mit Organisationen wie in Bayern. Doch die gab es auch früher beim „Schieß-Erlass“ von 1973 nicht.

Am 25. 07. 2013 hatten die „Stuttgarter Nachrichten“ berichtet, als angebliche Reaktion auf „die kurzzeitige Mitgliedschaft zweier Beamter im rassistischen Ku-Klux-Klan“ müssten nun Bewerber für den Polizeidienst eine Versicherung unterschreiben, bestimmten Organisation weder anzugehören noch sie zu unterstützen. Genannt waren in der entsprechenden Liste „unter anderem die NPD, salafistische Vereinigungen, der Ku-Klux-Klan sowie Teile der Linkspartei“.  (Link zum Artikel) (pdf)  (Link zum Fragebogen) (pdf). Kritik kam damals nicht nur von den Gewerkschaften und dem renommierten Arbeitsrechtler Prof. Dr. Wolfgang Däubler, sondern auch vom Landesvorsitzenden der GRÜNEN Oliver Hildenbrand (damals 25), dem als studentische Hilfskraft in Bamberg die dortigen Gepflogenheiten ungut aufgestoßen waren.  Hieß es zunächst, der neue baden-württembergische Polizei-Fragebogen werde „schon bald allen Bewerbern im Landesdienst in Baden-Württemberg vorgelegt werden“, steuerte das Innenministerium zurück: das sei „noch nicht entschieden“.

(Bericht der Wochenzeitung Kontext) ) (pdf)   (Bericht der Stuttgarter Zeitung) (pdf)

(Radio-Interview mit Lothar Letsche, dem Betreiber dieser Website) (Tondatei)

 

Gall war nicht nur wegen seines Umgangs mit der fortgesetzten Bespitzelung des 82jährigen Tübinger Gärtnermeisters Gerhard Bialas  in die Kritik gekommen (hier sein Brief vom 21.8.2013 an den Betroffenen), sondern auch wegen seiner zögerlichen Aufklärung des „NSU“-Skandals, weshalb sogar ssein Rücktritt gefordert wurde. (Offener Brief von Prof. Dr. Hajo Funke vom 10.12.2013) (pdf) Doch - wie die Stuttgarter Zeitung am 14.01.2014 meldete - „die Grünen schließen vorerst Frieden mit Innenminister Gall“. Der Landesbeauftragte für den Datenschutz stellte allerdings „den Fragebogen nicht grundsätzlich infrage“.

 

Petitionen an den Landtag 2013 abgeschmettert

 

Kein Ruhmesblatt für den Landtag war der Umgang mit zwei Petitionen von Betroffenen des „Radikalenerlasses“. Die Antworten des Petitionsausschusses, die (üblichem Vorgehen entsprechend, siehe Protokoll) am Ende der Landtagssitzung vom 10.10.2013 ohne Diskussion abgenickt wurden, sind von Sachkenntnis nur wenig getrübt und zugleich erhellend.

(Ablehnung der von der „Initiativgruppe 40. Jahrestag“ unterbreiteten Petition (pdf) - Ablehnung der Petition von Sigrid Altherr-König, (pdf)

 

Alles, was früher unter dem „Radikalenerlass“ geschah, sei von deutschen Politikern und Richtern abgesegnet worden – argumentierte der Petitionsausschuss. Faktisch stellten sich die Mitglieder des Gremiums damit in die unselige Tradition des ehemaligen Ministerpräsidenten Filbinger, der 1978 in Bezug auf seine früheren Handlungen als Wehrmachtsrichter gesagt hatte: „Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein“. Doch im gleichen Jahr hatte die SPD-Führung, bezogen auf den „Radikalenerlass“, bereits einen „Irrtum“ und „Fehler“ eingestanden, und Willy Brandt selbst forderte 1980 auf einem Rechtspolitischen Kongress seiner Partei eine „Korrektur dessen, was aus dem sogenannten Radikalenerlaß gemacht worden war“.

 

„Runder Tisch“ 2015: „Wegweisend“ für was?

 

Schon kurz nach dem Amtsantritt der neuen Regierung hatte am 17.08.2011 der Schriftsteller Jochen Kelter - 1974 aufgrund von „Erkenntnissen“ als wissenschaftlicher Angestellter der Universität Konstanz entlassen und dann in die Schweiz emigriert - einen Offenen Brief (pdf) an den in seiner Referendarzeit als Lehrer zeitweise selbst vom Berufsverbot betroffenen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann geschickt. Es wurde - wie die Stuttgarter Zeitung am 24.12.2014 berichtete (pdf) (pdf-Scan) - eine recht einseitige Korrespondenz mit mehreren Erinnerungen, und eine für Kelter enttäuschende Antwort des Ministerpräsidenten kam erst kurz vor Weihnachten 2012.

Inzwischen hatten sich Betroffene der „Initiativgruppe 40. Jahrestag“ am 12. April 2012 ebenfalls mit einem Offenen Brief (pdf) an den Ministerpräsidenten gewandt. Kretschmanns Antwort erreichte auch sie nach diversen Erinnerungen und Aktivitäten am 21. Dezember 2012. Hinsichtlich der Prüfung der „Verfassungstreue“ sei- schrieb er - „entscheidend ..., dass dieses Verfahren jeweils transparent und fair gestaltet wird. Die gängige Praxis der alten Landesregierungen bis 1991, anhand der sogenannten Regelanfrage jede Bewerberin und jeden Bewerber durch das Landesamt für Verfassungsschutz überprüfen zu lassen, sowie die Tatsache, dass allein die Mitgliedschaft in einer als verfassungsfeindlich angesehenen Organisation die Vermutung der fehlenden Verfassungstreue begründete, ist angreifbar. Das gilt besonders für die Entscheidung der damaligen Regierungen, an dieser Praxis auch dann noch festzuhalten, als der Bund bereits 1976 - und einige andere Länder wenig später - von der Regelanfrage abgesehen hatten. Der freiheitliche Verfassungsstaat ermittelt grundsätzlich nicht die Gesinnung seiner Bürgerinnen und Bürger, denn darin sind diese frei. Der Staat darf keine Gesinnungsschnüffelei betreiben, was die Verfahren aufgrund des sogenannten Radikalenerlasses und wohl auch die Praxis bis 1991 in Baden-Württemberg jedoch teilweise nahelegen. Allerdings kann die heutige Landesregierung besonders den Forderungen nach einer vollumfänglichen Rehabilitierung nicht nachkommen, unter anderem da aufgrund fehlender Unterlagen eine Einzelfallprüfung nicht mehr zu gewährleisten ist. Die dazu notwendigen Unterlagen sind entsprechend den rechtlichen Vorgaben zur Löschung nicht mehr vorhanden. Die Prüfung der einzelnen Fälle wäre aus Sicht der Landesregierung jedoch für eine generelle und vollumfängliche Rehabilitation oder eine materielle Entschädigung unabdingbar. Schließlich gab es auch Betroffene, deren Einstellung zu Recht abgelehnt wurde bzw. deren Entlassung richtig war. Die Landesregierung wird den 40. Jahrestag des sogenannten Radikalenerlasses zum Anlass nehmen, die Vorgehensweise und den Umgang mit den damaligen Regelungen zur Prüfung der Verfassungstreue von Beamtinnen und Beamten in Baden-Württemberg, und dabei auch die bis 1991 gängige Praxis, anhand der sogenannten Regelanfrage jede Bewerberin und jeden Bewerber durch das Landesamt für Verfassungsschutz überprüfen zu lassen, wissenschaftlich aufzuarbeiten. Wir prüfen derzeit, in welchem Format dies möglich ist. Bei der Aufarbeitung wollen wir auch die Erfahrungen unmittelbar Betroffener einbeziehen.“
(Hervorhebungen von berufsverbote.de)

 

Die Initiativgruppe „40 Jahre Radikalenerlass“ hatte sich am 21.11.2012 mit einem offenen Brief auch an alle Abgeordneten des Landtags gewandt: Sie wünsche sich dort „eine ähnliche Diskussion und Beschlussfassung, wie sie in Bremen vor einem Jahr stattgefunden hat“. (Offener Brief und weitere Informationen)


Darauf antwortete am 7. Januar 2013 Innenminister Gall und berief sich auf die Aussagen seines Ministerpräsidenten (Antwort Gall, pdf). Die Betroffenen erinnerten ihn am 14.01.2013 (Rückantwort, pdf) umgehend daran, dass ihre Forderung lautet, dem Bremer Beispiel folgend den „Radikalenerlass“ aufzuheben, und:

„Was wir Betroffene wollen und brauchen, ist eine Entschuldigung der Verantwortlichen, unsere Rehabilitierung als Staatsbürger sowie in begründeten Einzelfällen eine materielle Wiedergutmachung. Darüber hinaus sind wir – wie viele unserer Mitbürger – der Auffassung, dass der sogenannte Verfassungsschutz in seiner derzeitigen Form und Ausrichtung aufgelöst werden muss.“

 

Nach der „Anti-Duckmaus-Übergabe“ zweier Delegierter auf der Landesdelegiertenversammlung am 20.04.2012 an den Ministerpräsidenten wandte sich die GEW Baden-Württemberg im Mai 2013 mit einem Schreiben ebenfalls an alle Abgeordneten des Landtags von Baden-Württemberg und forderte sie auf, den Radikalenerlass nicht zuletzt wegen der bis heute unheilvollen Nachwirkungen abzuschaffen. Die Gewerkschaft wünschte sich, dass im Landtag von Baden-Württemberg eine ähnliche Diskussion und Beschlussfassung stattfindet, wie dies in Bremen der Fall war.  (b&w 5/2013, Mai 2013, pdf-File)

 

Mit wenigen Ausnahmen hüllten sich die Abgeordneten lange in Schweigen.

 

Durch die Kundgebung von Betroffenen am 10.12.2014 vor dem Stuttgarter Landtag und das neu erwachte Interesse an „Kretschmanns Akte“ kam endlich Bewegung in die Sache. Ein bisher in rot-grünen und grün-roten Koalitionen und  Landesregierungen festzustellendes Schwanken „zwischen positiven Ansätzen und Schweigen („Die wundersame Selbstrettung des Winfried Kretschmann aus den Untiefen des Radikalenerlasses“) wurde in einem Artikel von Uwe Koopmann in unsere zeit vom 02.01.2015 (pdf) diagnostiziert. Am 5. Januar 2015 wandten sich die baden-württembergischen Betroffenen erneut mit einem Offenen Brief an alle Landtagsabgeordneten. Mit einem Brief vom 15.01.2015 (doc-Datei) wandte sich der frühere Tübinger FDP-Abgeordnete Hinrich Enderlein (geb. 1941) – immer ein entschiedener Gegner der Berufsverbote, auch im baden-württembergischen Landtag, 1990-1994 Wissenschaftsminister von Brandenburg - an Ministerpräsident Kretschmann. Klaus Lipps von der Betroffenen-Initiative kam in der jungen Welt 16.01.2015 (pdf) (pdf mit Foto) in einem Interview zu Wort.

 

Angestoßen durch diese und weitere Aktivitäten kam es am 19. Juni 2015 zu einem „Runden Tisch“ im Landtag von Baden-Württemberg, den wir mit seiner Vorgeschichte und seinem hoffnungsfrohen Start im Sommer 2015 und seinem traurigen Ende vor der Landtagswahl im März 2016 auf den jeweils verlinkten Sonderseiten dokumentieren.

 

Die „grün-rote“ Ära der Landespolitik endete bekanntlich am 13. März 2016 mit einem Landtagswahlergebnis, das zur Bildung einer „grün-schwarzen“ Koalitionsregierung von GRÜNEN und CDU führte, weiterhin geleitet von dem „grünen“ Ministerpräsidenten Kretschmann – einer bundesweit einmaligen Konstellation.

 

Wie der Heilbronner Stimme am 28.12.2018 zu entnehmen ist, geben GRÜNE und SPD im Landtag sich mittlerweile gegenseitig die Schuld am Scheitern des von ihnen gemeinsam zur Erfolglosigkeit verdammten baden-württembergischen „Runden Tischs“. In der Antwort des Staatsministeriums auf die SPD-Landtagsanfrage nach fast drei Jahren, in denen von Seiten der Landesregierung und des Landtags gar nichts passierte, wird er als „wegweisendes Gremium“ bezeichnet. Aber „wegweisend“ für was? Für das längst überfällige politische Handeln des Landtag?  Oder nur für ein an eine Universität delegiertes Forschungsprojekt, das dann folgenlos bleibt?