Hessischer Landtag: Berufsverbieter-Märchenwelt mit den Stimmen der GRÜNEN

Das aktuelle Feindbild der hessischen Landesregierung: Ausweislich der Antwort des Innenministeriums vom 25.01.2018 auf die Anfrage eines FDP-Abgeordneten (Drucksache 19/5132pdf) werden – worauf die Zeitschrift der Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora 1/2018 hinweist - u.a. Veranstaltungen zu folgenden Themen als „verfassungsfeindlich“ eingestuft: „Solidarität mit den Flüchtlingen in Europa“, Jahrestag der Nazi-Bücherverbrennung, Jahrestag des missglückten Attentats auf Hitler, Friedensfest zum 70. Jahrestag der Befreiung, „Erinnerung an Widerstand in Ghettos, KZs, Vernichtungslagern bis 1945“, Tag der Menschenrechte, Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz, 1. September 2016 – Antikriegstag ...“

 

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Bei eisiger Kälte hatten am 24. Januar 2017 Betroffene der Berufsverbote-Praxis vor dem Hessischen Landtag demonstriert - solidarisch unterstützt vom GEW-Landesvorsitzenden Jochen Nagel und Willi van Ooyen, einem jahrzehntelangen Mitstreiter auch in der Bewegung gegen Berufsverbote. In seiner Eigenschaft als Fraktionsvorsitzender der Partei DIE LINKE im Hessischen Landtag initiierte er am 26. Januar im Landtag eine Diskussion über die Auswirkungen des „Radikalenerlasses“  Interview in junge Welt 26.01.2017 (pdf) und brachte einen entsprechenden Antrag (pdf) ein. Der erwies sich leider als Rohrkrepierer. Laut Beschlussprotokoll der Landtagssitzung vom 22.02.2017, Punkt 39,  winkten die Landtagsfraktionen der CDU und GRÜNEN (!) - der Regierungsmehrheit also - stattdessen auf dem Umweg über den Innenausschuss (pdf) ohne weitere Diskussion im Landtagsplenum, mehrheitlich einen anderen Beschluss (pdf) durch. Er nennt die Betroffenen des „Radikalenerlasses“ von 1972 in einem Atemzug und stellt sie auf eine Stufe mit Terroranschlägen der „Rote Armee Fraktion“ (RAF) und der Neonazipartei NPD, womit keiner von ihnen jemals das Geringste zu tun hatte. Die Fähigkeit auch der GRÜNEN-Parlamentarier, sich solche Denkmuster zu eigen zu machen bzw. sich so über den Tisch ziehen zu lassen, war offenbar von allen Beteiligten unterschätzt worden.

 

Über den Verlauf der Debatte am 26.01.2017 hatte die Website des Landtags (pdf) geschrieben: „Um 14.27 Uhr geht es dann weiter mit dem Antrag der Fraktion DIE LINKE "Radikalenerlass – ein unrühmliches Kapitel in der Geschichte Hessens – endlich Kommission zur Aufarbeitung der Schicksale der von Berufsverboten betroffenen Personen einrichten".  Demnach solle - nach dem Beispiel des Landtages in Niedersachsen - eine Kommission zur Aufarbeitung der Schicksale der von hessischen Berufsverboten betroffenen Personen und der Möglichkeiten ihrer politischen, gesellschaftlichen und materiellen Rehabilitierung einrichtet werden. In dieser Kommission solle neben Mitgliedern des Landtags auch Betroffene, Vertreterinnen und Vertreter von Gewerkschaften und Initiativen beteiligt werden. Ebenso sei eine wissenschaftliche Begleitung vorzusehen. Gemeinsam mit dem Antrag der Fraktion DIE LINKE wird auch der Dringliche Entschließungsantrag „Auswirkungen des Radikalenerlasses aus dem Jahr 1972“ (pdf) der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN diskutiert. Der Antrag betont, dass in Anwendung des Radikalenerlasses der Eintritt von Menschen in den öffentlichen Dienst verhindert werden konnte, die tatsächlich nicht auf dem Boden unserer Verfassung gestanden hätten. Es wurden aber auch sehr viele Bürgerinnen und Bürgern getroffen, deren Verhalten dies aus heutiger Sicht nicht gerechtfertigt hätte. Die Fraktionen bedauern die geschehenen ungerechtfertigten Benachteiligungen dieser Bürgerinnen und Bürger. Redezeit insgesamt eine Stunde.“
... In ihrer heutigen Rede ... betonte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Heike Hofmann, im Hessischen Landtag, dass der Erlass zu den dunklen Seiten der hessischen Geschichte gehöre. „Es sei daran erinnert, dass die erste rot-grüne Landesregierung in Hessen den Radikalenerlass und dessen Umsetzung beendet hat. Es müssen aber noch weitere Schritte zur umfassenden Aufarbeitung des geschehenen Unrechts erfolgen. Wir begrüßen, dass eine Kommission aus betroffenen Gewerkschaften und Initiativen dies mit wissenschaftlicher Begleitung tun soll“, sagte Hofmann am Donnerstag.
Der so genannte „Radikalenerlass“ legte fest, dass zur Abwehr vermeintlicher Verfassungsfeinde „Personen, die nicht die Gewähr boten, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten“, aus dem öffentlichen Dienst ferngehalten beziehungsweise entlassen werden sollten.  In der Folge kam es bundesweit zu 11.000 offiziellen Berufsverbotsverfahren, 2.200 Disziplinarverfahren, 1.250 Ablehnungen von Bewerbungen und 265 Entlassungen.
Dies führte zum faktischen Berufsverbot für Tausende von Menschen, die als Lehrerinnen und Lehrern, in der Sozialarbeit, in der Briefzustellung, als Lokführer oder in der Rechtspflege tätig waren oder sich auf solche Berufe vorbereiten und bewarben. Auch in Hessen waren über 130 Personen vom Radikalenerlass unmittelbar betroffen. Erst durch ein Urteil des Menschenrechtssenates des Europäischen Gerichtshofes von 26. September 1995 wurde die Berufsverbote-Praxis in der Bundesrepublik geächtet.“ (Hier verwechselt das Protokoll des Landtags den „Europäischen Gerichtshof“ (ein EU-Organ mit Sitz in Luxembourg) mit dem „Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte“, der auf einem eigenen Vertragssystem beruht, mit Sitz in Strasbourg. Über das erwähnte Urteil informieren wir hier.)

Der Antrag der LINKEN (pdf) war am 08.02.2017 im Rechtspolitischen Ausschuss des Landtags behandelt und dort mit den Stimmen der CDU, GRÜNEN und FDP zur Ablehnung empfohlen worden. Dieser Beschlussempfehlung (pdf) folgend wurde er in der Plenarsitzung vom 22.02.2017, Punkt 29, mehrheitlich abgelehnt. Stattdessen, wie gesagt, wurde - zeitlich durch mehrere andere Punkte davon getrennt - der unsägliche Text von CDU/GRÜNEN (pdf) zunächst im Innenausschuss am 09.02.2017 zur Beschlussempfehlung (pdf) erhoben und dann in der gleichen Plenarsitzung vom 22.02.2017 von der  Mehrheit unter Punkt 39 als Landtagsbeschluss durchgewinkt.

 

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