In den Haushaltsberatungen im Landtag:
Verfassungsschutz nach außen und nach innen
Als Fortsetzung unserer Einführung, in der wir am letzten Freitag den Kultetat behandelt haben, beleuchten wir abschließend die Ausgaben des württemberg-badischen Staatshaushaltsplanes, die für den Verfassungsschutz vorgesehen sind. Die Redaktion.
„Die Zeiten sind Gott sei Dank vorbei, wo man auf offener Straße von Räubern überfallen wurde“ – mit diesen Worten spendete ein Abgeordneter in der Haushaltsdebatte des Landtages unserer Polizei ein durchaus zeitgemäßes Lob. So lange ist es ja noch nicht her, daß die Landstraßen von dem menschlichen Strandgut des letzten Krieges unsicher gemacht wurden. Die Festigung der wirtschaftlichen Verhältnisse und die besseren Methoden der Polizei lassen die Frage der Kriminalität heute zurücktreten gegenüber dem Problem der politischen Sicherheit, das im diesjährigen Haushalt zum ersten Male auch wieder seinen zahlenmäßigen Niederschlag findet. Der Etat des Innenministeriums sieht einen Betrag von 3,6 Millionen DM für die Aufstellung der Bereitschaftspolizei vor, die in Württemberg-Baden etwa 850 Mann umfassen wird. Außerdem erscheinen weitere 209 000 DM für die Einrichtung des Landesamtes für Verfassungsschutz, dessen Aufgaben mit den Vorbereitungen der Abwehr und Verfolgung des politischen Radikalismus oder unmittelbarer Anschläge auf den Staat und die Verfassung umschrieben werden können.
Wer mit offenen Augen durch die Straßen geht, kann sich der Erkenntnis nicht verschließen, daß diese Einrichtungen notwendig sind. Die politischen Wegelagerer, gegen die sie sich richten, haben es zwar nicht auf unsere Uhren und Geldtaschen abgesehen, sondern auf die Güter einer demokratischen Staatsform, die man leider erst dann zu schätzen beginnt, wenn man sie nicht mehr besitzt. Die Zunahme radikaler Strömungen hat selbst unseren Innenminister, dem man weder die Lust zum Dramatisieren noch eine geheime Leidenschaft für eine Uniform nachsagen kann, zu einer geharnischten Warnung an die kleinen Epigonen des Dritten Reiches im Lande und die „rotlackierten Nazis“ gegenüber der Zonengrenze bewogen. Die Meinungen darüber, wieweit es mit der Vorbereitung der SRP in Württemberg-Baden ist und welche Schlagkraft die Kommunisten besitzen, gehen weit auseinander. Ein Spiel mit Zahlen wäre das Dümmste, was man hier anstellen kann, denn eine politische Bewegung ist kein Gegenstand der Statistik. Der Umstand, daß sich der politische Radikalismus noch nicht in Saalschlachten und Fackelzügen manifestiert, dient vielen zur Begründung, die Gefahr zu bagatellisieren und dem „Langsamtun“ das Wort zu reden. Sie wünschen anscheinend einen Brand, um sich von der Notwendigkeit einer Feuerwehr überzeugen zu lassen.
Hoffentlich war diese Ansicht nicht maßgebend für die kümmerliche Ausstattung und Vorbereitung unserer polizeilichen Maßnahmen für den Schutz der Verfassung. Die Verzögerungen bei der Aufstellung der Bereitschaftspolizei können auch mit technischen Schwierigkeiten erklärt werden, die sich aus unserer Raumnot, dem Mangel an geeigneten Leuten und der schwierigen Materialbeschaffung ergeben. Von einer „Bereitschaft“ dieser Truppe dürfte erst im nächsten Jahr die Rede sein können. Vordringlicher erscheint uns eine Intensivierung der Arbeiten des Landesamtes für Verfassungsschutz, das der ungeheuren Aufgabe gegenübersteht, in das Halbdunkel von Organisationen und Zellen hineinzuleuchten, die in der politischen Wühlarbeit über jahrzehntelange Übung, große Vorbilder und reiche Geldquellen verfügen. „Es sind viel mehr, als wir denken“ – so heißt es in einer ausgezeichneten Broschüre des Bundesministeriums über diese Elemente – „und sie sind hartnäckig und erfindungsreich wie Insekten. Sie wollen in das gemachte Bett des Westens – und wenn sie an die Decke klettern müßten, um sich hineinfallen zu lassen.“ Auch in Württemberg-Baden sind weder die schwäbische Sauberkeit noch die sprichwörtliche Ruhe der Hausbewohner eine Garantie gegen dieses Ungeziefer. Wir bedauern deshalb, daß die politischen Kammerjäger im Landesamt für Verfassungsschutz vorläufig mit unzureichenden Mitteln ausgestattet sind. Wie problematisch im übrigen die rechtlichen und verwaltungsmäßigen Voraussetzungen dieses – für unsere Behörden anscheinend völlig ungewohnten -- „Kampfes gegen die Feinde der Demokratie“ sind, geht etwa aus dem gelegentlichen Gegeneinander von Gerichtsbarkeit und Polizei, den Meinungsverschiedenheiten über die Treueverpflichtung der Staatsbediensteten und aus der Unsicherheit bei dem Verbot der FDJ hervor.
Im Landtag hat es nicht an frommen Wünschen nach Stärkung der polizeilichen Schutzeinrichtungen und an Klagen über die Gefahren gefehlt, die unserem jungen Staatswesen drohen. Bei verschiedenen Gelegenheiten tauchte dann das Wort vom staatsbürgerlichen Unterricht auf, also von der Bildung jener psychologisch-geistigen Fundamente der Demokratie, ohne die eine Bereitschaftspolizei und ein Verfassungsschutz zur Farce werden. Jeder wußte etwas – aber nicht viel – über die Notwendigkeit zu sagen, unsere Schüler, Studenten und Jugendlichen, aber ebenso die ältere Generation in den Geist der demokratischen Gemeinschaft einzuführen. Aber schon Kultminister Dr. Schenkel machte bei allem Lob für die Ehrlichkeit der Bemühung darauf aufmerksam, welche Hemmungen etwa für unsere Lehrer zu überwinden sind, sich in den Dienst einer neuen Anschauung vom Staat zu stellen oder gar in einer Partei aktiv am politischen Leben mitzuwirken.
Aber auch dort, wo die Regierung selbst als Lehrer in eigener Sache aufzutreten gedenkt und im unmittelbaren Gespräch mit dem Bürger um Verständnis für ihre Absichten wirkt, lassen Erfolge etwas lange auf sich warten. Unter dem Patronat bedeutender Namen unseres öffentlichen Lebens hatte man zu diesem Zweck im letzten Jahre eine Arbeitsgemeinschaft „Bürger im Staat“ gebildet und sie mit einem Zuschuß von 350 000 DM aus dem Etat des Staatsministeriums nicht kleinlich ausgestattet. Der Landtag mußte in diesem Jahre betrübt feststellen, daß sich die Phantasie der Arbeitsgemeinschaft in der Herstellung und Verteilung einer halben Million von Gratiszeitschriften erschöpfte, die sich nicht durch besondere Originalität ausgezeichnet haben. Ein Landtagsausschuß erörtert zur Zeit Pläne für eine bessere Verwendung der erneut etatisierten 350 000 DM.