Datum : 25.1.2002
Nr. : 3551
Thema : 30 Jahre Berufsverbote
30 Jahre Berufsverbote: PDS fordert Bereinigungsgesetz
Die PDS-Bundestagsfraktion hat am 25. Januar einen
Antrag eingebracht, in dem sie zum 30. Jahrestag des Berufsverbotserlasses am
kommenden Montag eine Bereinigung von Verstößen gegen Menschenrechte und
Grundfreiheiten verlangt. Hierzu erklärt Fraktionsvize Wolfgang Gehrcke:
Am 28. Januar 1972 fassten der damalige Bundeskanzler Brandt und die
Ministerpräsidenten der Länder der damaligen Bundesrepublik den Beschluss,
die Gesetze für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes dahingehend zu
interpretieren, dass in Zukunft die Mitgliedschaft in oder die Tätigkeit und
Kandidatur für eine als verfassungswidrig angesehene Partei oder Organisation
oder deren Förderung als nicht vereinbar mit einer Tätigkeit im öffentlichen
Dienst angesehen wird. Die Bundesregierung und alle Landesregierungen –
Ausnahme: Saarland – erließen danach Verfahrensregelungen, die eine
Regelanfrage beim Verfassungsschutz und eine Anhörung bei der jeweiligen
Personalabteilung vorsahen, wenn die vom Verfassungsschutz erstellten
Dossiers gerichtsverwertbare oder vorhaltbare Ansatzpunkte für ein
Berufsverboteverfahren ergeben hatten.
Von 1972 bis 1990 kam es zu 3,5 Millionen Überprüfungen von Angehörigen oder Bewerbern
im öffentlichen Dienst. Betroffen waren Mitglieder der DKP und anderer
kommunistischer Parteien und Gruppen, Jungsozialisten und SPD – Mitglieder,
Jungdemokraten der FDP, Christen und Pazifisten, wenn sie mit Kommunisten
zusammen in der Studenten-, Friedens-, Umwelt- oder Solidaritätsbewegung
gearbeitet hatten. Die 35000 Dossiers führten zu 11 000 Berufsverbote- und
2200 Disziplinarverfahren, 1250 endgültigen Ablehnungen von Bewerbern und 265
Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst. Versagte Berufungen an Hochschulen
und Beförderungen hat niemand gezählt. Betroffen waren: Postboten und
Zöllner, Lokführer und Friedhofswärter, Verwaltungsangestellte und
Professoren, Juristen und Ärzte, am häufigsten: Lehrer und Sozialpädagogen.
Zigtausende Gerichtsverfahren – bis hin zum Bundesverfassungsgericht und zum
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - folgten. Dort sind z. Zt. noch
sechs Verfahren anhängig.
Auch wenn rund 80 Prozent der Berufsverboteverfahren für die Betroffenen
letztlich positiv ausgingen, mussten diese lange um ihre Rechte kämpfen –
einige Verfahren dauerten 18, 20 oder 22 Jahre. Die Praxis als Mittel der
inneren Abgrenzung im Kalten Krieg wurde zwar gelockert, aber nie ganz
abgeschafft. Die Regelanfrage wurde – bis auf Bayern – aufgegeben und durch
anlass- und fallbezogene Anfragen ersetzt. Jetzt, 30 Jahre später und 12
Jahre nach Ende der Blockkonfrontation und des Kalten Krieges ist es höchste
Zeit, die Folgen des damaligen „Irrtums“ (Willy Brandt) zu bereinigen, die
Betroffenen zu rehabilitieren, für erlittenes Unrecht und erfahrene
Benachteiligungen zu entschädigen.
Mit unserem Antrag soll die Bundesregierung aufgefordert werden, ein
Bereinigungsgesetz vorzulegen, das unter Bezug auf die Europäische Konvention
zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten verlangt:
a) alle mit dem Berufsverbotserlass vom 1972 ergangenen Entscheidungen von
Verwaltungsbehörden und Gerichten von Amts wegen aufzuheben,
b) die Betroffenen politisch–moralisch zu rehabilitieren,
c) ihnen erlittenen materiellen und beruflichen Schaden zu ersetzen,
d) die Verfahrensregelungen des "Radikalenerlasses" von '72
ersatzlos aufzuheben und
e) zu regeln, dass aus allen Verfassungsschutz- und Personalakten die
diskriminierenden Dossiers des Verfassungsschutzes entfernt werden.
Ein solches Bereinigungsgesetz ist auch deshalb geboten, weil durch die
Freizügigkeit in Europa neues Unrecht entstehen könnte. Etwa wenn sich ein
kommunistischer Lehrer, Sozialarbeiter oder Richter aus den
EU–Beitrittsländern oder aus Frankreich und Italien oder aus einem anderen
EU-Land für den öffentlichen Dienst bewerben kann, ein deutscher jedoch
nicht.
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